"Das Menschliche darf nicht vergessen werden"

Tobias Kremkau im Interview über Coworking in der Pandemie

 

Tobias Kremkau ist Mitgründer der German Coworking Federation (GCF), in der er sich seit 2015 ehrenamtlich engagiert. Er ist auch Mitorganisator der COWORK, dem größten BarCamp rund um Coworking und Neue Arbeit im deutschsprachigen Raum. Es gibt wahrscheinlich niemanden in Deutschland, der mehr Coworking Spaces besucht und mit seinem Rat unterstützt hat als Tobias. 2019 wurde Tobias von der ZEIT als einer der 100 wichtigsten jungen Ostdeutschen genannt.

 
JM: Tobias, nach dem Lockdown im Frühjahr haben wir nun wieder einen Lockdown. Wie hart wird die Coworking Szene diesmal davon getroffen? Gab es überhaupt eine richtige Erholung? 

TK: Ich glaube, der aktuelle Lockdown wird nicht viel schlimmer als es der erste Lockdown war. Es steht außer Frage, dass die Situation trotzdem nicht leicht ist, aber inzwischen wissen die Coworking Spaces, was zu tun ist und wie man mit der neuen Normalität umgeht. Um diese Frage aber zu beantworten, muss man auch verstehen, dass die einzelnen Geschäftsmodelle und -felder der Coworking Spaces innerhalb dieser Corona-Pandemie sehr unterschiedlich funktionieren. Deshalb kann man dazu auch keine allgemeine Aussage treffen.
Einige Coworking Spaces konnten ein Wachstum von Einzelmitgliedschaften verzeichnen, da viele Menschen nach dem Zwang von zu Hause zu arbeiten, nun auf der Suche nach einem neuen Arbeitsumfeld sind. Der Küchentisch erweist sich für viele dann doch nicht als der ideale Arbeitsplatz. Es gab aber auch Kündigungen, beispielsweise für Teambüros doch auch dafür kamen wieder Nachmieter. Dies hat zwar vielleicht länger gedauert als sonst, aber man kann nicht sagen, dass es keine Nachfrage nach Coworking Spaces mehr gibt.
Was die Coworking Spaces härter trifft, ist das fehlende Buchungsgeschäft mit Besprechungsräumen und Eventflächen. Viele Kunden trauen sich momentan nicht zu buchen und viele Buchungen sind mit den aktuellen Auflagen auch nicht umsetzbar. Deshalb wissen viele Coworking Spaces auch nicht, wie es 2021 weiter geht. Ich rechne auf jeden Fall mit einigen Insolvenzen. Interessanterweise kommen kleine Coworking Spaces besser durch die Krise als manch großes Spaces, da sie weniger Fluktuation und einen loyaleren Kundenstamm haben.

 

“Wir sind uns, denke ich alle einig, dass die Zukunft der Coworking Spaces sehr goldig aussieht, jetzt ist nur noch die Frage, wer wird diese Zukunft erreichen.” 

 

JM: Und durch welche Strategie kann sich nun gegen finanzielle Einbußen geschützt werden? 

TK: Die Coworking Spaces sind kreativ und versuchen sich den gegebenen Umständen anzupassen. Sie müssen aufgrund der Fragilität ihrer Geschäftsmodelle diese diversifizieren und auch neue Geschäftsfelder entwickeln. Zum Beispiel können Flächen umstrukturiert oder anders genutzt werden; dies machen bereits einige Coworking Spaces. Andere Coworking Spaces versuchen ganz neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das hat dann nicht immer auch etwas mit Coworking zu tun, aber oft zumindest noch mit dem Thema flexibel und mobil zu arbeiten.
Solche Modelle können langfristig sinnvoll sein. Es kommt jedoch darauf an, wie man diese Produkte einsetzt. Ob man sich von Coworking weg entwickelt oder ob es dem Coworking-Konzept vielleicht sogar nützt. Mit neuen Angeboten kann ein größeres Kontaktnetz erschaffen werden, welches Aufmerksamkeit auf die Coworking-Branche generiert. Es gibt aber auch andere Strategien, wie Beratungs- und Coachingangebote zu entwickeln. Wir sind uns alle einig, denke ich, dass die Zukunft der Coworking Spaces sehr goldig aussieht. Jetzt ist nur noch die Frage, wer diese Zukunft erreichen wird.

 

“Man kann auf diese Virtualisierung reagieren, indem man dafür den Raum schafft.” 

  
JM: Technologie und Digitalisierung stehen ja eher auf der Gewinner Seite in der Pandemie. In der Coworking Szene spielten sie schon vorher eine große Rolle, um den Betrieb effizienter zu gestalten. Wie kann Technologie in der Pandemie Coworking Betreibern helfen? Welche Versprechungen konnte Technologie bisher nicht erfüllen? 

TK: Die digitale Aufrüstung der Coworking Spaces durch neue Technologie ermöglicht ein effizienteres Gestalten des Nutzererlebnisses. Das hat schon vor Corona Sinn gemacht, beispielsweise um Ressourcen freizuschaufeln und effizienter zu arbeiten. Die gewonnene Zeit kann besser genutzt werden, zum Beispiel für das Community Management. Heutzutage macht es aber auch Sinn, da mehr kontaktlose Service möglich sind, gerade wenn es vielleicht aufgrund von Kurzarbeit sowieso weniger Personal vor Ort gibt.
Deshalb haben Coworking Spaces, die sich bisher noch nicht digitalisiert haben, denke ich, spätestens jetzt damit zu kämpfen. Denn einige analoge Prozesse waren dieses Jahr deutlich schwieriger möglich oder waren allgemein unvernünftig gewesen, wenn nicht sogar verboten. Die Digitalisierung war dementsprechend schon vorher sinnvoll, hat jetzt aber noch einmal eine ganz andere Bedeutung bekommen.
Eine wichtige Entwicklung sind virtuelle Events. Die haben inzwischen eine ganz neue Qualität erreicht. Ich bin in der German Coworking Federation (GCF) aktiv und wir organisieren einmal im Jahr die COWORK, welche wir 2020 virtuell abgehalten haben. Dabei hatten wir sogar die doppelte Teilnehmeranzahl als sonst auf dem Event. Klar, das Zwischenmenschliche fehlte, aber ich bin überzeugt davon, dass es trotzdem in der Zukunft virtuelle Events geben wird. Auch die COWORK 2021 wird aufgrund der anhaltenden Situation virtuell stattfinden.
Coworking Spaces könnten hierbei auch von dieser Entwicklung profitieren, indem sie die Infrastruktur für solche virtuellen Events stellen und sie aus ihren Besprechungsräumen kleine Aufnahmestudios machen. Es gibt schon zahlreiche Coworking Spaces mit YouTube- oder Podcast-Studios. Man kann also auch auf diese Virtualisierung reagieren, indem man dafür den Raum schafft, an dem Kunden virtuelle Events organisieren. Denn auch das geht nicht einfach so mit einem Laptop vom heimischen Küchentisch aus.

 

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“Ich bin der Ansicht, dass alles Überflüssige ins Virtuelle kann, um mehr Zeit für das Wesentliche zu schaffen, und das ist immer noch das Miteinander.” 

 

JM: Vielleicht im nächsten Step auch Virtual Reality? 

TK: Warum nicht? Ich bin jedoch kein Freund von einseitigen Lösungen. Es sollte immer ein Mix sein. Klar kann ich mir gewisse Virtual-Reality-Elemente schon heute in einem Coworking Space vorstellen. Dass man zum Beispiel gewisse Information in einem Raum für Gäste virtuell abspeichert. Das könnte definitiv einige Prozesse erleichtern. Jedoch soll das nicht heißen, dass das ein Coworking Space kein Personal mehr vor Ort haben muss. Ich bin der Ansicht, dass alles Überflüssige ins Virtuelle kann, um mehr Zeit für das Wesentliche zu schaffen, und das ist immer noch das Miteinander. Das Menschliche darf nicht vergessen werden.

 

Jeder Space sollte zusätzlich aktiv werden und schauen, welche Förderprogramme mit entsprechender Begründung möglich wären.” 

 
JM: Wir bei Sensorberg haben Anfragen von Spaces erhalten, die Fördermittel zur Fortsetzung Ihres Betriebs genehmigt bekommen haben. Mit “NEUSTART KULTUR” hat die Bundesregierung ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für den Kultur- und Medienbereich aufgelegt. Gefördert werden unter anderem pandemiebedingte Investitionen und Projekte verschiedener Kultursparten. Unter anderem wird durch die Förderung der Coworking und Maker Space “Abantu Kulturlabor” des “Freie Lernwelten e.V.” in Jena mit Sensorberg Technologie ausgestattet. Welche Rolle spielen diese Fördermittel in der Szene? Sind dies nur Einzelfälle oder wird hier wirklich Geld mit der Gießkanne verteilt?  

TK: Bisher sind das, glaube ich, Einzelfälle. Ich selber recherchiere gerade zu dem Thema, weil wir eine Arbeitsgruppe “Fördermittel” bei der German Coworking Federation (GCF) haben und wir öfters von Wirtschaftsförderungen gefragt werden, was für Fördermittel denn für Coworking Space notwendig sind. Es gibt nämlich selten Fördermittel für Coworking Spaces, die entstehen gerade erst. Oft wird jedoch die Nutzung der Coworking Spaces gefördert und nicht unbedingt der Betrieb eines Coworking Spaces unterstützt.
Zum Beispiel werden in einigen Gemeinden Mitgliedschaften für Coworking Spaces gefördert, indem bis zu 50 Prozent der Mitgliedschaftsbeiträge im ersten Jahr übernommen werden. Die von dir angesprochenen Konzepte finde ich aber auch sehr sinnvoll, denn kleine Coworking Spaces haben manchmal Angst vor Veränderungen. Diese bedeuten erst einmal nur hohe Kostenpunkte, die abschreckend sind, denn ein kleines Coworking Space kann man oft auch noch mit der Exceltabelle führen. Eine Kostenübernahme könnte da mutiger machen.

 

“Man sollte den Angestellten die freie Wahl lassen, wann sie von wo arbeiten möchten.” 


JM: Eine Folge von COVID-19 wird in der Nachbetrachtung mit Sicherheit die neue Akzeptanz vom Home Office sein. Bundesarbeitsminister Heil will sogar das Recht auf 24 Tage Homeoffice im Jahr mit dem “Mobile-Arbeit-Gesetz" fest verankern. Welchen Einfluss hat dieser Trend auf die Coworking Branche? 

TK:Von einem solchen Gesetz könnte die Coworking-Szene definitiv profitieren! Ich würde das aber gar nicht auf das Homeoffice begrenzen, sondern es als Recht auf mobiles Arbeiten formulieren. Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagene 24-Tage-Regelung finde ich wenig sinnvoll, da dies unternehmens- und personenabhängig ist. Unternehmen sollten da freier denken können. Aber die Arbeitnehmer:innen brauchen einen rechtlichen Anspruch, welchen sie einfordern können. Man muss aber schauen, ob so ein Gesetz überhaupt kommen wird.
Ich verspreche mir aber von so einem Gesetz viele positive Effekte. Menschen müssten weniger pendeln, was Stress und Verkehrsemissionen senkt. Vielleicht ist deshalb eine Antipendelpauschale, die das Pendeln finanziell unattraktiv macht, sinnvoller. Und deshalb hat die German Coworking Federation (GCF), in Zusammenarbeit mit der CoWorkLand-Genossenschaft und anderen Partnern die Forderung aufgestellt, dass es eine Dableib-Pauschale braucht, die auch als Teil eines Rechts auf mobiles Arbeiten gedacht werden kann.

 

 “Coworking sollte als eine Art Service betrachtet werden, der im ländlichen Raum an funktionierende Orte angeschlossen wird.” 

 
JM: In deiner Coworking Telegramm Gruppe “Kremkaus Links” ist immer mehr vom Rural Coworking zu lesen, also Coworking auch in dezentrale ländliche Gegenden zu bringen. Dies ist vor allem für Pendler attraktiv, um Fahrwege zu reduzieren und auch Arbeitgeber konnten sich in diesem Fall eher mit einem Fernbleiben vom Büro anfreunden. Sinkt durch das neue Recht auf Homeoffice nicht auch die Bedeutung von Coworking auf dem Land? 

TK: Die nimmt glaube ich sogar zu. Die Coworking Spaces werden ja dort entwickelt, wo die Menschen leben. Und gerade auf dem Land können Coworking Spaces ein Teil der Infrastruktur am Marktplatz zu werden. Dort gibt es dann noch den Bäcker, den Fleischer, den Kiosk und eben den Raum für mobiles Arbeiten. In kleineren Dörfern gibt es vielleicht eher Angebote wie ein Leseraum in einer Bibliothek, in dem man flexibel arbeiten kann. In größeren Orten gibt größere Coworking Spaces, da hier womöglich auch mehr Teams arbeiten würden.
Coworking sollte aber allgemein außerhalb der Metropolen als eine Art Service betrachtet werden, der an im ländlichen Raum funktionierende Geschäfte und Dienste angeschlossen werden könnte. Ich denke da an tagsüber ungenutzte Gemeinderäume der Kirchen, an kommunale Bibliotheken oder Hotellobbies. Coworking als eine Kultur des Miteinander funktioniert überall. Nur Geld kann man damit nicht überall verdienen, weshalb es neue Wege braucht, wie ein solches Angebot auch im ländlichen Raum ermöglicht werden kann.

 


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JM: Wie bewertest du vor diesem Hintergrund die weitere Entwicklung des Coworking Markts? 

TK: Der Markt wird sich, glaube ich, durch die Corona-Pandemie ein wenig aufräumen. Wir werden also ein paar Akteure sehen, die in diesem Jahr aufgeben werden. Ich fürchte, dass es auch ein paar sehr bekannte Namen aus der Szene treffen wird. Es werden aber auch neue Coworking Spaces entstehen, denn es ist nicht so, dass sich die Leute nicht mehr trauen zu gründen. Allgemein wird der Markt sicherlich wachsen. Zumindest kann ich für das Jahr 2020 sagen, dass mehr Coworking Spaces neu gegründet als geschlossen wurden.
Ob es wirklich mehr Coworking Spaces in den Peripherien der Metropolen und im ländlichen Raum geben wird, müssen wir abwarten. Ich persönlich glaube aber an diese Entwicklung. Wir werden aber allgemein mehr dritte Orte sehen, auch in den Metropolen, weil Konzepte gesucht werden, die das Risiko auf verschiedene Geschäftsfelder verteilen und dabei immer noch eine Aufenthaltsqualität schaffen, um Menschen einen Grund zu geben, einen Ort aufzusuchen. Coworking als Konzept wird dabei eine führende Rolle einnehmen.

 

JM: Wir dan­ken dir für das tolle Ge­spräch, Tobias. 

Das In­ter­view führ­te Jan Michalik.